Verein für kreatives Schreiben e.V.



Zwischen den Welten

Nicole Schlichte

Wie jeden Tag sitze ich in der U-Bahn, Rotkreuzplatz bis zum Hauptbahnhof. Wie immer steige ich müde ein und wie immer schaue ich dumpf umher, doch diesmal fällt mir eine Werbung auf, Highlightreisen, Bhutan erleben. Ich kenne dieses Land und meine Gedanken wandern dort hin. Wie gerne würde ich jetzt meinen Koffer dabei haben, so wie die ältere Dame mir gegenüber, doch eine U-Bahn kennt kein Urlaub, sie fährt tagein tagaus durch ihre eigene Dunkelheit, sie kennt nicht die Unerschütterlichkeit des Himalayas, die größten Bergriesen der Welt, sie kennt kein Wir, wie unsere Reisegruppe von 40 buddhistischen Pilgern. Sie kennt nur sich und ihre eintönige Reise auf zweitönigen Geleisen. 

Bhutan war anstrengend, doch nicht so, wie das raus quälen aus dem Bett um die U-Bahn nicht zu verpassen, es war eine erquickende Anstrengung voller Aufregung. 

Wir schauten uns Tempel um Tempel an und an einem Tag hieß es, dass es eine heilige Quelle gäbe, doch es war nicht klar, ob wir es schaffen würden, diesen wunderbaren Ort aufzusuchen. Ich wollte diese heilige Quelle aber sehen und fragte den Guide, wo ich hingehen müsse. Er erklärte mir auf unklarem Englisch wo es lang ginge, und ich machte mich auf die Suche. Es tat gut, etwas ohne die Gruppe zu unternehmen, ganz auf eigene Faust. 

Nach seinem Handzeichen musste es irgendwo auf dem Berg sein, vor dem der Tempel lag. Also kraxelte ich kurz entschlossen den Berg hinauf. Hier und da hingen schon Gebetsfahnen, ich musste also richtig sein. Es ist ja nicht so wie bei uns, in Bhutan gibt es keine Hinweisschilder und vor allem keine U-Bahnen mit Computerstimmen, die mir jeden Morgen sagen wo ich bin. Maillingerstraße, zum Beispiel.                                                                                               

Das Erklimmen des Berges bewerkstellte ich trotz Schwierigkeiten gut. Doch eine heilige Quelle sah ich nicht, dafür ein eingezäuntes Grundstück. Vielleicht wieder ein Tempel, die gab es in Bhutan quasi an jeder Ecke, und das soll für ein Land was hoch oben in den Bergen liegt schon etwas heißen. Ich ging durch das Eingangstor, ein gepflegtes Gelände, eine Frau kam mir entgegen.                                                                                                                          „Holy Water?“, fragte ich. Sie nickte freundlich und wies mir den Weg.                           

 „Under, right.“ Okay, das klang einfach, unten rechts. Und tatsächlich, als ich wieder in der Wildnis stand, hörte ich etwas plätschern. Keine Menschenseele war zu sehen, ich erkundete hier ganz alleine und war ein wenig stolz auf mich. Ja, da plätscherte etwas, es wurde deutlicher. Ich erkannte ein Rinnsal. Perfekt. Aus einem Rohr kam ein kleiner Wasserstrahl. Mir war gesagt worden, man solle sich die Haare mit dem Wasser waschen, das brächte Glück. Ich schlug mich durch's Dickicht, hielt meine offenen Hände unter das Wasser, rieb mir das Gesicht damit ab und noch eine Hand voll ins Haar. Etwas weiter unten höre ich:                                                      „Madam, hallo, Madam, it´s dirty water. Madam.“ Die vier Damen die mir das zuriefen, lachten amüsiert. Wie, dachte ich, nicht holy? Und betrachtete das Rohr, aus dem das Wasser lief genauer. Es lag direkt unter dem Haus. Du meine Güte, das war doch wohl nicht das Abwasserrohr!

Ich wollte nicht länger darüber nachdenken und ging mit meinem nassen Haarschopf zu ihnen. Sie hörten nicht auf zu kichern.                                                    

„Dirty Water, dirty Water.“ 

Okay, ich hatte verstanden, das war wohl nicht die Heilige Quelle, eindeutig. Ich lachte einfach mit und sie erklärten mir, under, right. Tja, genau wie die Frau vorher. Rechts, hatte sie auch gesagt. Ich war aber links gegangen. Mein Schwachpunkt, schon immer. 

Dann ging ich rechts und da hörte ich es wieder plätschern, diesmal war der Platz sehr belebt, das heilige Wasser wurde in Kanister gefüllt. Ich stellte mich in der Warteschlange an, doch die Bhutanesen ließen mich vor und ich wusch mit viel heiligem Wasser, das dirty Water von meinem Gesicht und wusch mir die Haare bei ungefähr 10 Grad Lufttemperatur. Doch das war mir egal, wenn rechts und links meine Schwachpunkte waren, so hatte ich doch an ein kleines Handtuch und an eine Mütze gedacht. Und was war das!? Als ich mich umdrehte, sah ich einen komfortabel ausgebauten Weg, der direkt zur Quelle hochführte. Und ich hatte mich schon gefragt, wie ich diesen vermaledeiten Berg jemals wieder runter klettern sollte.                                     

 Eine Stimme holte mich aus meinen Gedanken, die Dame mit dem Koffer war verschwunden und die immer gleichbleibende Stimme sagte mir, dass die nächste Haltestelle Sendlinger Tor hieß. Ich hatte den Hauptbahnhof verpasst. Aber was soll's. 

Ich hatte alleine die Heilige Quelle in Bhutan gefunden, ganz alleine und es machte mir nichts aus, das ich nun zu spät zur Arbeit kam.