Monat November 2023
Charlotte Hofmann
Das Projekt
„Rita Falk hat es geschafft,“ dachte Konstanze. „Ich werde es auch schaffen, einen Krimi mit lokalem Bezug zu schreiben.“ Sie sah schon die Kritik in der Zeitung „Rabenschwarzer Würmtalkrimi, der die Menschen in Bann hält.“ Schon immer faszinierte sie die niederbayrische Autorin Rita Falk. Genial fand sie die Titel ihrer Krimireihe: Angefangen von Winterkartoffelknödel über Dampfnudelblues bis zu Rehragout-Rendezvous. Konstanze überlegte und hatte eine Idee: Alle Titel sollten etwas Schmerzhaftes ausdrücken: Heimweh, Fernweh oder Zahnweh. Zehn Buchtitel würde sie schon schaffen. Sie konnte schnell formulieren. Ihre Geschichten wurden gerne gehört. Vor allem weil viel Witziges vorkam, und die Figuren meist sehr skurril waren. In der örtlichen Bibliothek hatte sie vor zwei Monaten einiges vorgetragen und zwischen den Geschichten auf der Gitarre gespielt. Das kam bei den Leuten gut an. Nur Schwiegermutter Cilli fand den Auftritt unpassend. Frauen sollten kochen und nicht schreiben. Der Bereich der Literatur sei den Männern vorbehalten, meinte sie, schreibende Frauen seien wertlos für den Mann.
Konstanze war überzeugt, sie hatte nur Angst, Sohn Thomas würde nicht gut genug versorgt werden. Was wusste Cilli schon von Zärtlichkeit? Wenn Thomas abends aus dem Amt für Baustatik nach Hause kam, entwickelte sich oft ein liebevoller Dialog in einer verschlüsselten Sprache.
„Na, kleine Schnecke! Wie war´s mit dem Schreiben?“
„Heiter bis wolkig. Und bei dir im Amt?“
„Tief im Anzug.“
„Oje, dann Salami-Pizza.“
Einige Freunde hatten sie auf die Idee gebracht, einen Roman, der im Würm-Tal spielt, zu schreiben. Damit könnte sie in ihrer Heimat berühmt werden Es wurden sogar Vorschläge zu handelnden Personen gemacht. Auf jeden Fall sollten der Metzger Kleber und der Wirt vom Gasthof „Zum Habersack“ vorkommen. Konstanze dachte sofort an eine Szene, in der sich militante Veganer vor die Tür des Metzgers klebten.
Sie legte sich einen Schuhkarton zurecht, in dem sie Notizzettel mit Ideen sammelte. Der fiktive Handlungsort sollte auf jeden Fall die Endung –ing tragen. Das war ihr bald klar, zumal alle Orte, an denen die Würm vorbeifloss, diese Endungen trugen. Morgens beim Zähneputzen schoss es ihr neulich durch den Kopf: Der Ort sollte Saibling heißen. Sie wusste zwar nicht, ob es in diesem Bach je einen Saibling gegeben hatte, aber das würde der Leser niemals nachkontrollieren, und der Name Saibling klang einfach gut.
Vor drei Wochen setzte sie sich an den Schreibtisch und begann mit dem ersten Roman ihrer Krimireihe mit dem Titel „Heimweh“. Sie begann: - „Hier in Saibling gibt`s kaan Mord. Des glaab i net,“ sagte Bürgermeister Hiefl, als ihm die Sekretärin Claudia, braunäugige Brillenträgerin, eine Tasse Kaffee auf den Schreibtisch stellte.
Konstanze schaute zum Fenster hinaus, als es Sturm läutete. Erbost öffnete sie die Tür. Es war natürlich ihre Schwiegermutter Cilli, wie sie schon vermutet hatte. „Ich hab` euch mal wieder was Vernünftiges eingekauft,“ sagte sie und stellte drei volle Einkaufstüten auf den Küchentisch. Konstanze drehte sich wütend um und warf die Küchentür hinter sich zu. Es war immer dasselbe. Cilli musste sich ständig in den Haushalt einmischen.
Am Schreibtisch schrieb Konstanze wütend auf, welche Möglichkeiten es gab, einen Menschen umzubringen. Wenn sie eine Frau den Mord vollbringen ließe, wäre Gift die beste Wahl. Aus der Küche roch es penetrant nach Fisch. Sie hasste Fisch, und Cilli wusste das genau. Konstanze überlegte. Es musste ein geruch- und geschmackfreies Gift sein, das in der Leiche nicht gut nachweisbar war.
Da kam Thomas ins Zimmer und umarmte sie von hinten:
„Na, mein kleiner Schreibwurm? Was macht der Krimi?“
„Mit Orkanböen muss gerechnet werden.“
„Ich verstehe. Meine Mutter kocht. Ich bring` dir mal einen Aperol spritz, bevor es zu stürmisch wird.“
Auch dieser Abend ging vorüber. Am nächsten Morgen kam Konstanze beim Schreiben gut vorwärts. Wut gab ihr immer kreativen Schwung. Sie entwickelte die Figur der Ermittlerin. Es könnte eine Pfarrsekretärin von St. Elisabeth oder eine pensionierte Polizistin vom benachbarten Ort Tranegg sein. Natürlich brauchte die Hauptfigur eine passende Familie, mit der sich der Leser identifizieren konnte. Liebenswerte, außergewöhnliche Personen. Vielleicht ein Flüchtling aus Eritrea, der als Spüler im Gasthaus „Zum Habersack“ arbeitet und über telepathische Fähigkeiten verfügt? Oder ein knurriger Vater, der das rechte Bein bei einem Motorradunfall verloren hat und in Südamerika gelernt hat, ein Lasso geschickt zu werfen?
Einiges Kopfzerbrechen machte Konstanze allerdings der Plot. Es musste ein besonderer Mord sein, vielleicht ein Verbrechen, das zunächst wie ein Unfall aussah. Einer, der an einem Saibling erstickt war oder einer, der von einem Müllwagen überfahren wurde?
Konstanze spürte, dass sie gerade in eine Schreibkrise kam. Irgendwie begann alles zu stocken. Verzweifelt rief sie Thomas an, was sie sehr selten tat.
„Was ist Schatz?“
„Gefahr von Bodenfrost“, seufzte sie.
Er verstand und fuhr sofort nach Hause, obwohl sein Schreibtisch voll gestapelt mit brandaktuellen Akten war.
Vor der Haustür traf er mit seiner Mutter zusammen, die gerade klingeln wollte und drei volle Plastiktüten in der Hand trug.
„Was du schon wieder?“
„Spricht man so mit seiner Mutter?! Ich mache euch Rouladen mit Blaukraut und Klößen. Sonst wird hier ja nichts Vernünftiges gekocht!“
Thomas stürmte an Cilli vorbei ins Zimmer von Konstanze.
„Was ist?“
„Ich komm` nicht weiter. Mir fehlt ein passender Mord.“
Thomas begann, Konstanzes Schläfen zu massieren. Sie schloss lustvoll die Augen. Als es aus der Küche nach angebratenen Zwiebeln roch, sagte Thomas:
„Hast du schon mal` daran gedacht?“. Er deutete mit seinem Daumen in
Richtung Küche.
„Du meinst?“
„Ja, ich meine!“ „Schwiegermuttermord?“ Thomas nickte.